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Der Schiedsrichter als Feindbild

Nimmt Stellung zum Thema "Gewalt gegen Schiedsrichter": Gelnhausens KSO Markus Breidenbach. (Foto: gelnhausen.hfv-online.de)

Gelnhausens KSO Markus Breidenbach. (Foto: kfa-gelnhausen.de)

Die Gewalt gegenüber Unparteiischen nimmt zu. Die Gelnhäuser Neue Zeitung beleuchtete dieses Thema in der Samstagsausgabe. „Das Verständnis füreinander fehlt“, meint der Gelnhäuser Schiri-Obmann Markus Breidenbach.

Prügeleien, Spielabbrüche und bedrohte Schiedsrichter – Horrorszenarien, die sich in der Fußballwelt immer öfter abspielen. Vor allem die Unparteiischen werden zunehmend zur Zielscheibe einer zur Gewalt bereiten Gesellschaft. Der Tod des 41-jährigen Schiedsrichterassistenten in den Niederlanden ist nun die Spitze des Eisbergs. Das Fass sei übergelaufen, ab sofort würde Gewalt gegen den Schiedsrichter strenger bestraft werden, erklärte der niederländische Justizminister Ivor Opstelten. Schließlich müssten die Referees strafrechtlich denselben Status haben wie Polizisten und andere Hilfskräfte. Der Gelnhäuser Kreisschiedsrichterobmann Markus Breidenbach steht „zu 100 Prozent“ hinter dieser Aussage.

Jeder von uns kennt es: Nach Fehlentscheidungen werden die Referees – vor allem in der Bundesliga – von den Zuschauern ausgebuht. Gellende Pfeifkonzerte müssen die als „Schieber“ und „Schwarzkittel“ titulierten Schiedsrichter über sich ergehen lassen. Sätze wie „Schiri, hol‘ Dein Wettschein raus“ oder „Hängt ihn auf, die schwarze Sau“ raunen regelmäßig durch die Stadien.

Der Schiedsrichter steht immer im Blickpunkt des Geschehens, muss pro Spiel mehr als 200 Entscheidungen treffen, ob Abstoß, Eckstoß oder Einwurf, Elfmeter, Handspiel, Gelbe oder Rote Karte. Wahrlich keine leichte Aufgabe. Klar, dass ihm dabei auch der ein oder andere Fehler unterläuft. Die Besucher in den Stadien haben dafür allerdings überhaupt kein Verständnis. Der sonst so ruhige Familienvater wird auf der Tribüne zu einem anderen Menschen, lässt sich von der wütenden Fanmasse um ihn herum anstecken. Er grölt, hebt drohend die Faust und wirft gelegentlich auch mal Bierbecher, Feuerzeuge oder andere Utensilien auf das Spielfeld. In unmittelbarer Nähe sitzen oft auch Kinder und Jugendliche, für die Elternteile eigentlich „Vorbilder“ sein sollten.

Seit Jahren gibt es auf dem Fußballplatz nur einen Feind – der Mann in Schwarz. „Das Denken gegen uns Schiedsrichter ist zu sehr ausgeprägt, und für einige Personen sind wir schlichtweg ein Feindbild“, meint auch Breidenbach. Das Verständnis füreinander fehle einfach. Dass eine Mannschaft während einer Partie ein Dutzend Torchancen hat, um das Spiel für sich zu entscheiden, am Ende aber durch eine fragwürdige Strafstoßentscheidung mit 0:1 verliert, zähle nicht. Schuld an der Niederlage sei (fast) immer der Unparteiische. „In den vergangenen Jahren hat sich ein Klima auf den Sportplätzen entwickelt, das nicht schön ist. Jeder darf uns kritisieren, aber wir müssen ruhig sein. Oder haben wir etwa das Recht, einem Spieler zu sagen: ‚Das war heute Dein 17. Fehlpass, lass Dich lieber auswechseln‘? Nein! Haben wir nicht, wollen wir auch nicht. Aber der erste falsche Pfiff von uns löst gleich große Kritik aus. Das ist nicht gerecht.“

Was sind Ursachen und Auslöser für die Wut, die bei vielen Zuschauern gegenüber dem Schiedsrichter aufkommt? Breidenbach nennt die „Regelunkenntnis“ als wichtigsten Faktor. „Das ist oft der Ursprung für solche Auseinandersetzungen. Viele Leute kennen sich mit den Regeln nur oberflächlich aus. Die Schiedsrichter gehen vor diesem Hintergrund gerne zu den Vereinen, um sich den Problemen zu stellen oder um Regelreferate abzuhalten. Es wird aber kaum angenommen.“

Breidenbach weiter: „Wir stellen uns auch gerne mal den Problemzuschauern, die Sonntag für Sonntag nur kritisieren, für eine Aussprache. Aber da winkt man nur ab, denn diese Fans können und wissen alles besser und sind nicht dazu bereit, sich von der anderen Seite überzeugen zu lassen.“ Für den Gelnhäuser Schiedsrichter-Chef aus Birstein wäre das ein „wichtiger Ansatzpunkt, um die wenigen Problemfans in den Griff zu bekommen“.

Präsent sind immer noch die Vorfälle aus St. Pauli oder Düsseldorf, wo Schiedsrichter per Bierbecher abgeworfen oder per Kopfstoß zu Boden gestoßen wurden. Dass die Gewalt jetzt auch in den untersten Spielklassen zunimmt, ist daher nur eine logische Folge. Schließlich gilt der Profifußball als Vorbild für die unteren Ligen. Und dort kommen beinahe wöchentlich üble Geschichten von Gewalt gegen Schiedsrichter ans Tageslicht – doch nichts geschah. Dass beispielsweise ein Obmann aus Dachau seinen Posten aufgrund von zunehmenden Aggressionen gegen die Schiedsrichter-Zunft vorzeitig an den Nagel gehängt hat, interessierte kaum jemanden.

Die Nachricht über den 41-jährigen Linienrichter aus den Niederlanden, der nach einem Jugendspiel von drei Spielern im Alter von 15 und 16 Jahren zu Tode geprügelt wurde, dokumentiert, dass offenbar etwas Ernsthaftes passieren muss, damit die breite Öffentlichkeit das Problem zur Kenntnis nimmt.

In einer Studie kam die Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit dem Württembergischen Fußballverband auf folgendes Ergebnis: 40 Prozent von 2600 befragten Referees gaben an, schon einmal bedroht worden zu sein. 17 Prozent wurden sogar schon einmal tätlich angegriffen – eine erschreckende Bilanz. „Wir können froh sein, dass es im Gelnhäuser und auch im Büdinger Kreis ruhig verläuft. Die Vereinsvertreter wurden auf der Rundenbesprechung erneut sensibilisiert. Vereine und Schiedsrichter müssen aufkommende Aggressionen auf den Plätzen im Keim ersticken – und das geht nur mit einem gesunden Miteinander von beiden Seiten, mit aufrichtigen Gesprächen und Kommunikation.“

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